Im Fotograben

LÖRRACH. Von Beginn an –­ seit 22 Jahren – begleitet  die Redaktion der Oberbadischen das Stimmenfestival mit Texten und Fotos. Es gab viele eindrucksvolle und einige enttäuschende, sehr heiße und extrem nasse Konzerte. Zahlreiche große Namen waren auf dem Alten Marktplatz zu hören, aber auch manch unbekannter Künstler sang sich in das Gedächtnis. In einer kleinen Serie lassen Redaktionsmitglieder darum im Verlauf des diesjährigen Festivals unter dem Motto „Stimmenmomente“ besondere Erlebnisse der vergangenen Jahre Revue passieren. 
Heute ist mein Beitrag als Fotograf bei den Marktplatzkonzerten erschienen, der sich auch mit den zunehmenden Fotorestriktionen beschäftigt.

Stimmen-Festival 2014 - Marktplatz - The Hives  und Triggerfinger

Von Kristoff Meller

Lörrach. Und dann springt er direkt über mich hinweg auf den großen Rückriem-Würfel neben der Bühne. Die Meute brüllt, meine Kamera löst in Serie aus. Kurzer Blick auf’s Display – die Belichtung passt. Ich bekomme Gänsehaut, während „The Hives“-Sänger Pelle Almqvist schon an der vorderen Kante des Würfels steht und  das Mikrofon am langen  Kabel in großen Achtern durch die Luft wirbelt.

„Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran“, soll der berühmte Kriegsfotograf Robert Capa einmal gesagt haben – und bezahlte dafür einige Jahre später mit seinem Leben.  Als Fotograf ist man beim Stimmenfestival ganz nah dran, kann die Bewegungen und Emotionen der Stars  einfangen und muss dennoch glücklicherweise nie um sein Leben fürchten.

Seit 2009 bin ich beim Stimmenfestival für unsere Redaktion unterwegs und habe nur ein Marktplatzkonzert verpasst und das nicht ganz freiwillig, doch dazu später. Vor allem die pompösen und stimmungsvollen Shows von Künstlern wie Peter Fox (2009), Lenny Kravitz (2012) oder  BossHoss im vergangenen Jahr haben sich ins Gedächtnis eingeprägt. Bieten sie doch sehr dankbare und zahlreiche Motive.
Stimmen - Stimmenfestival 2013 - Skunk Anansie
Nichts für ungut Elton John, Norah Jones und Co., wer sich aber während der drei Songs, bei denen wir üblicherweise fotografieren dürfen (ohne Blitz), höchstens mal  kurz vom Pianohocker  erhebt oder beinahe bewegungslos seine Gitarre bearbeitet, kann kaum atemberaubende Bilder erwarten. Zumal wenn man die Fotografen aus dem Bühnengraben verbannt  und bis zum Mischpultturm am Eiscafé am anderen Ende des Marktplatzes schickt.

Fitness und Reaktionsschnelligkeit sind gefragt

Doch es geht auch anders wie „Skunk Anansie“-Frontfrau Skin 2013 bewiesen hat. Beinahe im Sekundentakt  wechselt sie bei ihren Auftritten die Bühnenseite, schwingt den Mikrofonständer durch die Luft springt blitzschnell aus der Hocke  wieder empor. Da sind Fitness und Reaktionsschnelligkeit gefragt.

Die bedurfte es  auch im Jahr 2010 beim  Auftritt der Fantastischen Vier. Ein für mich ganz einprägsamer Stimmenmoment: 5000  tanzende Menschen in Einweg-Regenponchos. Die vier Stuttgarter Hiphoper brachten den Platz trotz sintflutartiger Regenfälle zum Beben. Auch im Fotograben waren wir vor der Nässe nicht geschützt. Egal, Weitwinkelobjektiv mit Schutzfilter auf das wasserdichte Kameragehäuse geschraubt, Ohropax rein und los geht’s.

Die „Fantas“ stehen permanent am Bühnenrand, animieren das Publikum und geben ab der ersten Sekunde 110 Prozent. Das  Teleobjektiv an der zweiten Kamera kommt kaum zum Einsatz. Für einen Moment habe ich Angst, dass Michi Beck auf meine ihm entgegen gehaltene Kamera aus der „Froschperspektive“ tritt.

Stimmen Festival 2011- Marktplatz - Die Fantastischen Vier / Fanta 4

Als dann auch noch Thomas D direkt in die Linse posiert, schlägt mein Fotografenherz bis zum Anschlag. Nach drei Songs müssen wir wieder raus – völlig in Ordnung. Schweiß- und Regentropfen haben sich vermischt, die Speicherkarte glüht, die Bildauswahl ist riesig, die Entscheidung um so schwerer. Nachdem die Fotos für die aktuelle Berichterstattung  ausgewählt und bearbeitet sind, geht es zurück in die durchnässte Menge – feiern bis zur letzten Zugabe. Was für ein Abend!

Konzertfotograf: ­ein toller, beneidenswerter Job. Sollte man meinen, doch immer häufiger verderben einem   Knebelverträge  und Fotorestriktionen von Managements  die Lust am Fotografieren. Das ist auch der  Grund, weshalb unsere Redaktion– wie einige andere auch – 2009  entschied, ein Marktplatzkonzert nicht zu fotografieren. Das Management von Tracy Chapman hatte uns im Vorfeld einen nicht hinnehmbaren Vertrag zugeschickt. Darin sollten sich die Fotografen  verpflichten, Chapmans Agentur sämtliche Aufnahmen für Werbezwecke kostenlos zur Verfügung zu stellen, während wir die Bilder nur einmal abdrucken dürfen und dann  beerdigen müssen. Daraufhin war der Arbeitstag für mich bereits nach der Vorgruppe beendet – die Musiker haben schließlich ebenfalls nichts zu verschenken.

Zähe Verhandlungen

Auch in den kommenden Tagen werden die Fotografen es wieder nicht ganz einfach haben, um gute Fotos machen zu können. Nur den Verhandlungskünsten der Presseabteilung des Burghofs ist es zu verdanken, dass wir heute Abend bei Lionel Richie nicht wieder am Mischpultturm mit den langen Teleobjektiven stehen müssen, sondern aus dem Graben vor der Bühne arbeiten dürfen. Auch das Management von Melissa Etheridge verzichtet nach einem angekündigten Boykott unserer und weiterer Redaktionen auf die wahnwitzige Chapman- „Vertragsklausel“.

Keinen Verhandlungsspielraum gab es hingegen beim Auftritt von Bob Dylan. Bereits seit Jahren ist er  ein bekannter Fotogegner bei seinen Konzerten. Schon beim letzten Besuch in Lörrach war das so und auch am Donnerstag gilt: Fotografieren strikt verboten!

Das wird vor jedem Auftritt noch einmal durchgesagt inklusive der Ankündigung, dass Dylan im Falle einer Missachtung  sein Konzert abbrechen werde. Der Deutsche Journalisten Verband fordert inzwischen ein „Berichterstattungsboykott“ und auch die Überlegungen unserer Redaktion gehen in diese Richtung.

Stimmen-Festival 2014 - Marktplatz - Elton John

In den heutigen Zeiten, wo jeder zweite Konzertbesucher ständig sein Smartphone in die Höhe hält, um  meist verwackelte, unscharfe „Beweisfotos“  zu ergattern, anstatt entspannt der Musik zu lauschen, kann ich die Haltung der  Künstler aber auch verstehen –­jedoch nur was das Publikum betrifft. Wenn eine Handvoll professionelle Fotografen für zwei bis drei Lieder den Auftritt aus dem Graben dokumentieren, sollte das hingegen auch im Interesse des Künstlers sein.

Wir sind doch keine Paparazzi auf der Jagd nach möglichst unvorteilhaften Schnappschüssen, sondern Fotojournalisten, die die besondere Atmosphäre einfangen wollen und in emotionalen, ausdrucksstarken Fotos festhalten möchten. Schließlich spielen nicht jeden Tag Weltstars im beschaulichen Lörrach.

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